In Zeit und Raum gefangen leben wir alle. Da mir als Schüler, Student und später als DaF-Lehrer mehr als ein halbes Jahrhundert lang diverse Lehranstalten den Daseinsrahmen bildeten, begann für mich die Zeitrechnung stets mit dem 1. September und endete dann mit dem Anbruch der Sommerferien. Ich bemerkte zwar (in der traditionellerweise als Frühjahr apostrophierten Jahreszeit) den jeweiligen Stand der Blüte von Schneeglöckchen, Krokussen, Stiefmütterchen, Veilchen, Goldregen und Tulpen aus den Augenwinkeln, schenkte jedoch erst der Fliederentwicklung volle Aufmerksamkeit. Ich wollte einschätzen, ob er (der Flieder) beim Schulabschlussfest (am Wochenende vor der ersten Maiwoche, wenn die Abiturienten, angeführt von ihren Klassenlehrern sich singend und mit Blumensträußen massiv beladen durch fast alle Räumlichkeiten ihrer geliebt-gehassten Lehranstalt schlängelten) zum Schmücken der Schulzimmer noch zu gebrauchen oder um diese Zeit schon verblüht ist. Lehrer, jüngere Mitschüler, aber vor allem geladene Eltern und Verwandte der Abiturienten standen Spalier und verfolgten das Spektakel mit tränenbenebelten Augen und schussbereiter Kamera...
Die Gefeierten hatten nun bald die schriftlichen, anderthalb Monate später die mündlichen Abiprüfungen zu absolvieren und wurden (bei Erfolg) reif. Das Schuljahr war aus, der Flieder vergessen. Oder?