Alles Macheath oder was?
(Oder: Ein Buch im Regal)
Er blies die Backen auf, rollte die hervorquellenden Augen beim Trompetenspiel und sang betörend-geschmeidig vor seinem Orchester etwas über „knife”. Er war außerordentlich elegant, dabei leger, locker und dennoch zurückhaltend. Obwohl man so gut wie nichts von diesem Song verstand, bereitete das verschmitzte Lächeln von Louis Armstrong, von dem ja die Rede ist, auch einem kleinen Kind vor dem Fernseher Lebensfreude. (Vielleicht in Schwarz-Weiß in den frühen 60er Jahren, vielleicht zu Silvester, vielleicht bei den Nachbarn auf einem kleinen Hocker sitzend, denn wir besaßen erst später einen eigenen Fernseher. Vielleicht hießen sie Rédls, die Nachbarn.) – Na ja, diese Schwarzamerikaner, die haben’s im Blut, konnte man meinen. Wie bei uns die Zigeuner – schon Liszt Ferenc (auf Deutsch: Franz Liszt), der große ungarische Klaviervirtuose und Komponist, behauptete dies im 19. Jahrhundert.
Und in der Tat, Ella Fitzgerald sang dieses Lied ja auch – doch irgendwie ganz anders, temperamentvoller, jazziger, mit vielen Variationen, Improvisationen: ebenfalls sensationell! Aber das war, glaube ich, einige Jahre später.
Es vergingen vielleicht fünfundzwanzig Jahre, die Melodie aus der Kindheit erkannte ich trotzdem sofort und wollte meinen Ohren nicht trauen. Das ist doch dieselbe Melodie – nur von einem Leierkasten begleitet und mit deutschem Text! Gesungen von Brecht selbst, die „r”-s auch am Wortende betont gerollt, halt mit bayerischem Zungenspitzen-R:
„Und der Haifisch, der hat Zähne, und er trägt sie im Gesicht…”
Auf einer Schallplatte zum soeben gekauften Buch ertönte „Die Moritat von Mackie Messer” aus der „Dreigroschenoper” – ein Weltschlager!
Es vergingen wieder vielleicht fünfundzwanzig Jahre…