Jeden Tag lerne ich auf mehreren Webseiten Russisch (und Spanisch), vor allem auf www.busuu.com. Es schadet nicht, wenn sich ein Fremdsprachenlehrer auch mit einer neuen Fremdsprache beschäftigt, denn so vergisst er die Schwierigkeiten nicht, die ein Schüler beim Lernen Tag für Tag erleben muss. Dadurch kann eventuell das Einfühlungsvermögen der Lehrkraft gefördert werden.
Nach einer jeden Lektion gibt es auf www.busuu.com eine schriftliche Aufgabe, wie zum Beispiel beim Thema „Aussehen”. Am Ende der durchgenommenen Übungen wurde die Frage gestellt: Wie siehst du aus? Was trägst du normalerweise?
Hier eine Lösung:
Ich bin nicht groß, nicht klein, trage oft einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd mit einer Krawatte. Die Jacke ist ein wenig eng und kurz, die Hose ein wenig weit und lang. Meine Schuhe sind groß und nicht mehr schwarz. Die linke Hand steckt in der Hosentasche, die rechte hält einen Spazierstock. Auf dem Kopf ist ein Hut, mitten im traurigen Gesicht ein kleiner schwarzer Schnurrbart. Das Leben ist schwer und aussichtslos. Die Leute lächeln und lachen um mich herum. Ich weiß nicht, warum!
- Es ist in erster Linie eine schriftliche Hausaufgabe, die die sprachlichen Mittel der Lektion verwendet. Kollegen auf der Webseite korrigieren die Fehler, wenn sie wollen.
- Es ist ein zusammenhängender Text, eine Ich-Erzählung. Kollegen können es bemerken, wenn sie es können oder wollen.
- Es ist ein Rätsel, ein (Rollen)Spiel, bei dem es gilt zu erraten, um wen es sich handelt, wer der Erzähler sein kann. Kollegen können versuchen es zu lösen, und aufgrund dessen kann es eventuell zur Interaktion kommen.
Zu diesem Thema habe ich schon zahlreiche Lösungsvarianten geschrieben, bei denen der Erzähler nicht (deutlich genug) erkenntlich gemacht worden ist – und die Kollegen, die meistens mit einem Pseudonym (auf Neudeutsch: Nickname) auftreten, dies oft nicht bemerken. Daraus können (kontextbedingte) Kommunikationsprobleme resultieren, auf die ich – konfrontationsscheu wie ich bin – meistens nicht eingehe. Wer schon einmal über die Korrektur hinaus so ein Rätsel erfolgreich gelöst hat, wird u.U. auf das nächste warten und macht das Spiel gerne mit…
Ich wähle nun von den Korrekturen diejenige, die mir am besten gefällt oder bastle von mehreren einen Text, der meiner Vorstellung am nächsten liegt und versuche damit meine Aussprache zu trainieren. Nachdem die Betonung der Problemwörter auf http://ru.wiktionary.org/wiki/ im Einzelnen und der Text im Ganzen auf http://www.ivona.com/en/ kontrolliert worden ist, lese ich den Text vor, lade die von mir erstellte MP3-Datei auf http://vocaroo.com/ hoch, gebe den Kollegen den Link von „vocaroo” an und bitte sie die Aussprache zu korrigieren. Aufgrund von den Rückmeldungen arbeite ich weiter und präsentiere den von meinem Fleiß fast zu Tränen gerührten Kollegen dann noch eine womöglich bessere Variante…
Diese Erfahrungen als Sprachlerner haben mich auf die Idee gebracht, (vorerst) ein DaF-Lehrwerk mit SEHR persönlichen Lesetexten entstehen zu lassen, die sich mit konkreten thematischen Bereichen befassen. Mir schwebt ein Internetbuch vor, dessen Reservoir kontinuierlich um hervorragende Lösungen, Textvarianten (auch mit Aussprache) von Lernenden erweitert wird…
Die Lesetexte dienen als Beispiel dafür, dass Lerner einer Fremdsprache fähig sind, mit bestimmten sprachlichen Strukturen (Wortschatz, Grammatik, Stilistik, Soziokultur: entsprechenden Kompetenzen) etwas (Gewohntes und Gewöhnliches, aber vielleicht auch Ungewohntes und Ungewöhnliches) über sich, ihre Umgebung, …, über die Welt auszudrücken. Bei der Aneignung von Sprache und Kultur kann und will ich ihnen helfen, kann und will sie jedoch NICHT hindern, über die Welt auf ihre eigene Art und Weise zu denken. Das gehört nämlich zu Grundrechten des Menschen. „Die Gedanken sind frei…”