1. Nach dem Blogeintrag über Blumen und Sprichwörter im DaF-Unterricht bekam ich von einer österreichischen Kollegin eine bemerkenswerte Rückmeldung. Sie meinte, dass sie im täglichen Umgang so gut wie nie Sprichwörter verwende. Dieser "Urgroßmuttersprech" sei bei ihr und in ihrer Umgebung ganz aus der Mode.
Wenn ich es richtig verstanden habe, wollte sie damit zum Ausdruck bringen, dass Sprichwörter deshalb (also wegen ihres Nichtvorhandenseins in der Umgangssprache) auch im Fremdsprachenunterricht nichts zu suchen hätten. Sie fragte mich, ob dieser Sprichwörterschwund auch im Ungarischen zu beobachten sei. Das ließ mich ernsthaft über das Problem nachdenken.
Der Form nach ist ein Sprichwort immer ein ganzer Satz, dessen Elemente nicht durch andere ersetzt werden können. Es handelt sich also um feste Strukturen, denen die Zeit nichts anhaben kann. Das bedeutet, dass sie auch vor Jahrhunderten in der heutigen Form existierten.
Inhaltlich gesehen geht es dabei immer um eine tradierte Weisheit (für den täglichen Gebrauch und mit einem gewissen Zeigefinger-Effekt), die überwiegend aus der (griechisch-römischen) Mythologie, der Bibel, verschiedenen alten Büchern (Volksbüchern z.B.) und dem Alltag längst verschollener Zeiten stammen.
Ich als moderner Mensch gebrauche in einer Alltagssituation ungern, selten, fast nie ein Sprichwort, weil ich den Gesprächspartner ungern, selten, fast nie mit einem drohend-warnend-besserwisserischen Zeigefinger belehren möchte. Wenn man jedoch über eine dritte Person klatscht und tratscht, ist dergleichen aber durchaus vorstellbar, denn Schadenfreude ist ja nun einmal die schönste Freude!
Es kommen also Sprichwörter doch noch vor. Es gibt WOHL einige Bereiche, aus denen sie gar nicht wegzudenken sind. Erstens sind sie in Märchen anzutreffen (Eltern wollen ja ihren Kindern bestimmte tradierte Verhaltensregeln mitgeben). Zweitens kommen sie im Kindergarten und in den unteren Schulklassen oft vor (Lehrer wollen ja ihren Schülern ebenfalls gut bewährte Verhaltensmuster beibringen). Drittens werden sie in Titeln von Zeitungsartikeln, Liedern und Filmen sehr häufig verwendet. Viertens macht man von Sprichwörtern auf Schritt und Tritt (sogar im täglichen Umgang oder besonders in WERBETEXTEN) Gebrauch, indem man sie verändert, um witzig zu sein oder Aufmerksamkeit zu erwecken.
(DaF-Kollegen mit deutscher Muttersprache könnten mir dabei mit eigenen Beispielen helfen. Ich würde sie hier gerne veröffentlichen, damit auch wir Nicht-Mutterprachler dazu lernen können. Vielen Dank im Voraus.)
2. Alter schützt vor Torheit nicht!
Manche Sprichwörter stimmen heute überhaupt nicht mehr. Darum sind sie besonders interessant für uns (DaF-Lehrer), denn sie provozieren geradezu zu Diskussionen. Ich versuche dies an zwei Sprichwörtern zu beleuchten.
Wer A sagt, muss auch B sagen. (56.000 Treffer in einem Internet-Suchprogramm.) Es bedeutet, dass man Begonnenes konsequent fortsetzen muss. Es ist also wünschenswert, unsere Vorhaben gut zu planen, sie aber dann einfach durchzuziehen. Ohne Wenn und Aber - sozusagen. Was passiert jedoch, wenn es nicht so verläuft, wie wir es uns vorgestellt haben? (Unverhofft kommt oft!) - Eine rhetorische Frage. Natürlich muss man sich anpassen und den Plan ändern können.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. (91.200 Treffer) Das ist heute nicht mehr wahr. Ganz im Gegenteil. Man erwartet von einem modernen Menschen lebenslanges Lernen. Oder?
3. Wie oft Sprichwörter im Internet vorkommen, sieht man an dieser kleinen Liste:
Aller Anfang ist schwer. (574.00 Treffer) - Filmtitel, Songtitel (Mike Krüger),
"Aller Anfang ist Merz - Von Kurt Schwitters bis heute" - Buchtitel
"Aller Anfang ist Horvath" - Titel der ersten Folge einer österreichischen Satire-Webserie
"Aller Anfang ist leicht" - Titel von Klavierschule, Gitarrenschule usw.
Unverhofft kommt oft. (564.00) - Film- und Buchtitel
Übung macht den Meister. (458.000)
"Übung macht den Mörder" - Fernsehserie
"Übung macht den Musiker" - Werbung für einen Musikverein
Besser spät als nie. (349.000) - Filmtitel, Reklame
Wie du mir, so ich dir. (214.000)
Alle Wege führen nach Rom. (67.800)
Viele Wege führen nach Rom. (102.200)
"Alle Wege führen nach Ruhm." - Podcasttitel
Des einen Freud, des anderen Leid. (187.000)
Neue Besen kehren gut. (113.000)
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. (111.000)
Jeder ist seines Glückes Schmied. (108.800)
Wer zuletzt lacht, lacht am besten (61.800) - Filmtitel
Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen (29.800) - Songtitel (Mike Krüger)
Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. (12.800)
Der Mensch denkt und Gott lenkt. (12.500)
Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. (12.400)
Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. (11.500)
Morgen, morgen, nur nicht heute - sagen alle faulen Leute. (9.920)
Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul. (6.300)
4. Fazit
Sind also Sprichwörter im DaF-Unterricht fehl am Platz? - Definitiv nein! Da sie Teil unserer Sprache ist, sollen sie auch unterrichtet werden. Aber Vorsicht: Allzuviel ist ungesund!